Was das Christentum zur Abtreibung sagt

Schutz des menschlichen Lebens vom Augenblick der Empfängnis an

Gott ist der Schöpfer und Freund des Lebens.

Bereits im frühesten Christentum werden Abtreibungen als schwere Sünde abgelehnt und sogar als Mord betrachtet. Durch alle Jahrhunderte hindurch hielten die christlichen Bekenntnisse an diesem Grundsatz fest. Erst im 20. Jahrhundert kam in gewissen Kreisen eine teilweise Relativierung auf. Viele Bekenntnisse behielten jedoch gegenüber der Abtreibung stets einen unzweifelhaften Standpunkt. Die katholische Kirche bezeichnete sie zum Beispiel im II. Vatikanischen Konzil (1965) als «verabscheuenswürdiges Verbrechen». Papst Benedikt XVI. sagte: «Der Mensch fängt im Mutterschoss an und bleibt Mensch bis zu seinem letzen Atemzug. Daher muss er immer als Mensch respektiert werden.»

Antike

Das Neue Testament behandelt das Thema nirgendwo ausdrücklich. Jedoch lehnen bereits frühe christliche Quellen die Abtreibung ab. So sagt die Didache, einer der frühesten nicht-biblischen Texte, in Kapitel 2: „Du sollst nicht töten, […] du sollst kein Kind abtreiben, du sollst kein Neugeborenes töten.“ Auch der etwa gleichzeitige Clemens von Rom und spätere Kirchenväter, Basilius von Caesarea, Augustinus von Hippo, Johannes Chrysostomos sprachen sich einhellig gegen die Abtreibung aus.

Tertullian (150-230) schreibt: „Es ist uns ebenso wenig erlaubt einen Menschen, der sich vor der Geburt befindet, zu töten als einen schon geborenen“[1] und „Wir hingegen dürfen, nachdem uns ein für allemal das Töten eines Menschen verboten ist, selbst den Embryo im Mutterleib […] nicht zerstören. Ein vorweggenommener Mord ist es, wenn man eine Geburt verhindert; es fällt nicht ins Gewicht, ob man einem Menschen nach der Geburt das Leben raubt oder es bereits im werdenden Zustand vernichtet. Ein Mensch ist auch schon, was erst ein Mensch werden soll – auch jede Frucht ist schon in ihrem Samen enthalten.“[2]

Minucius Felix schreibt in seinem Dialog Octavius, 30. Kapitel, in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts: „Nicht bei uns, […] aber bei euch sehe ich, wie die neugeborenen Kinder ausgesetzt werden; dass manche Frauen durch eingenommene Arzneimittel den Keim künftiges Lebens vernichten und einen Kindesmord begehen.“

In der Synode von Elvira um 306 wurden zum ersten Mal in einem Konzil Schwangerschaftsabbrüche verurteilt.

Nach der Konstantinischen Wende setzte Kaiser Konstantin die Todesstrafe durch das Schwert auf Abtreibung; dies war eine große Änderung im Römischen Recht, das vorher überhaupt keine Bestrafung dafür vorsah.[3]

Ephräm der Syrer, †373, schreibt im zehnten Kapitel seiner Rede über den Jüngsten Tag: „Die ihre Leibesfrucht vernichtet, […] die ihr Kind zur Fehlgeburt gemacht, die wird am Jüngsten Tag durch dieses Kind selbst zur Fehlgeburt gemacht, und es entzieht ihr Leben und Licht des jenseitigen Lebens. […] Das ist die Vergeltung für diejenigen, die ihren Kindern das Leben nehmen.“

Der Kirchenlehrer und Erzbischof von Ravenna Petrus Chrysologus, †450, hebt in einer Predigt[4] die Gottesverwandtschaft des Menschen vor der Geburt hervor: „Ihr Glücklichen, […] schon bevor euch eure Mutter sieht, hat der Vater im Himmel euch als Gotteskinder angenommen, in einer einzigartigen und dauernden verwandtschaftlichen Beziehung.“

Mittelalter

Bei den Theologen herrschte lange die Lehre der Sukzessivbeseelung vor, auch Epigenismus genannt; demnach findet die Beseelung nach und nach stufenweise fortschreitend statt (Augustinus, Hieronymus, Thomas von Aquin, Alfons von Liguori). Sie geht auf Aristoteles zurück, der meinte, ein Embryo bzw. Fetus habe zunächst eine pflanzliche Seele (anima vegetativa oder vegetalis), auf Grund derer er überhaupt lebt, dann eine empfindende tierische Seele (anima sensitiva oder animalis), und erst 40 Tage (bei einem männlichen Fetus) bzw. 90 Tage (bei einem weiblichen Fetus) nach der Empfängnis eine vernunftbegabte menschliche Seele (anima intellectiva oder rationalis oder humana).[5]

Albertus Magnus, ein Gegner der Sukzessivbeseelung und Lehrer von Thomas von Aquin, bestritt diese Erforderung nicht und begründete seine Ansicht, ein Embryo habe von Beginn an eine vernunftbegabte Seele, mit der Überzeugung, dass es von vornherein wie ein winziges Kind aussehe.

Obwohl die Sukzessivbeseelung theologisch auch in der Scholastik umstritten war, unterschied das katholische Kirchenrecht vom Decretum Gratiani um 1140 bis 1869 gemäß dieser Lehre zwischen dem fetus inanimatus oder informatus und dem fetus animatus oder formatus, dem unbeseelten oder ungeformten und dem beseelten oder geformten Fetus. Ein Schwangerschaftsabbruch galt aus katholischer Sicht immer als Sünde und wurde mit monate- bis jahrelanger Buße belegt, aber nur bei einem beseelten Fetus wurde er als Mord betrachtet und mit Exkommunikation, manchmal sogar mit Todesstrafe geahndet.

Neuzeit bis Gegenwart

Die Unterscheidung zwischen dem unbeseelten und dem beseelten Fetus wurde von Papst Pius IX. 1869 in der Bulle Apostolicae Sedis abgeschafft. Seitdem spricht das Kirchenrecht nur noch vom fetus, und die offizielle deutsche Übersetzung übersetzt fetus sogar mit „Kind“ (Canon 871 CIC 1983[6]). Das Kind empfängt seine Seele bereits zum Zeitpunkt der Zeugung (Simultanbeseelung). Pius IX. stützte sich auf den Leibarzt des Papstes Innozenz X., Paul Zacchias (1584-1659), der sagte, die vernunftbegabte Seele (anima rationalis) werde dem Menschen im Augenblick der Empfängnis eingegossen, denn sonst würde ja das Fest der unbefleckten Empfängnis Mariens eine vernunftlose Materie feiern, was jedoch der allerseligsten Jungfrau „unangemessen“ sei.

Wer heute noch die Position der Sukzessivbeseelung von Thomas von Aquin vertritt, setzt sich der Kritik aus, einem Anachronismus (gegen die Zeit gehen) verfallen zu sein. Thomas ist damals noch nicht bekannt gewesen, dass bereits ab der Zeugung der Zygote die Existenz eines Organismus mit einem art- und individualspezifischen Genotyp beginnt, also eines neuen, einmaligen Menschenwesens.[7]

In der „Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute“ Gaudium et Spes von 1965 hält das II. Vatikanische Konzil der Katholischen Kirche fest: „Gott, der Herr des Lebens, hat nämlich den Menschen die hohe Aufgabe der Erhaltung des Lebens übertragen, die auf eine menschenwürdige Weise erfüllt werden muss. Das Leben ist daher von der Empfängnis an mit höchster Sorgfalt zu schützen. Abtreibung und Tötung des Kindes sind verabscheuenswürdige Verbrechen“ (Artikel 51).

Papst Johannes Paul II. gibt die Lehre der Katholischen Kirche in dieser Frage in der Enzyklika Evangelium Vitae (Nr. 62) von 1995, wo auch die Todesstrafe abgelehnt wird, mit folgenden Worten wieder: „Mit der Autorität, die Christus Petrus und seinen Nachfolgern übertragen hat, erkläre ich deshalb in Gemeinschaft mit den Bischöfen – die mehrfach die Abtreibung verurteilt und, obwohl sie über die Welt verstreut sind, bei der eingangs erwähnten Konsultation dieser Lehre einhellig zugestimmt haben – dass die direkte, das heißt als Ziel oder Mittel gewollte Abtreibung immer ein schweres sittliches Vergehen darstellt, nämlich die vorsätzliche Tötung eines unschuldigen Menschen. Diese Lehre ist auf dem Naturrecht und auf dem geschriebenen Wort Gottes begründet, von der Tradition der Kirche überliefert und vom ordentlichen und allgemeinen Lehramt der Kirche gelehrt.“

In einem Interview auf Castelgandolfo am 5. August 2006 sagte Papst Benedikt XVI.: „Was die Abtreibung angeht, gehört sie nicht ins sechste, sondern ins fünfte Gebot ,Du sollst nicht töten!’ Und das sollten wir eigentlich als selbstverständlich voraussetzen und müssen immer wieder betonen: Der Mensch fängt im Mutterschoß an und bleibt Mensch bis zu seinem letzen Atemzug. Daher muss er immer als Mensch respektiert werden. Aber das wird einsichtig, wenn zuvor das Positive gesagt ist.“

Nach der aktuellen katholischen Morallehre ist also der Abbruch einer Schwangerschaft zu jedem Zeitpunkt Mord. Dies wird naturrechtlich begründet und beansprucht daher als Norm für alle Menschen zu gelten, nicht nur für Christen. Nach Canon 1398 CIC 1983[8] zieht sich, genauso wie zuvor nach Canon 2350 CIC 1917, wer eine Abtreibung vornimmt die Tatstrafe[9] der Exkommunikation zu. Von der Tatstrafe betroffen ist die schwangere Frau, der Arzt, der die Abtreibung ausführt, sowie alle Tatbeteiligten, die wesentlich und unentbehrlich für das Zustandekommen der Abtreibungstat sind.[10] Es werden Deliktfähigkeit[11] und Strafmündigkeit[12] vorausgesetzt.

Die Orthodoxe Kirche beruft sich auf die Kirchenväter und hat Schwangerschaftsabbrüche immer als Sünde gesehen.

Die Reformatoren weichen nicht von der kirchlichen Tradition ab. Luther bezeichnet die Zeugung eines Kindes als „Gottesdienst“ und tritt daher für den Schutz des Gezeugten ein.[13]

Calvin bezieht sich auf Exodus 21,22 und lehnt die Schwangerschaftsunterbrechung ab.

Die protestantische Sozialethik entwickelte Anfang des 20. Jahrhunderts eine abweichende Haltung. Grundsätzlich wird der Schwangerschaftsabbruch verurteilt, aber es wird auch die Forderung abgelehnt, dass eine Frau ein ungewolltes Kind gegen ihren dezidierten Willen austragen und sich dann Jahrzehnte lang um das Kind kümmern müsse; auch in das Leben der Mutter werde dadurch unwiderruflich eingegriffen. Dieser Konflikt des Rechtes auf die eigene Lebensgestaltung sowohl bei der Mutter als auch beim Kind sei nicht auflösbar, und ein Kompromiss nicht möglich.[14] Es gibt aber auch die klar begründete Ablehnung des Schwangerschaftsabbruchs, wie bei Dietrich Bonhoeffer und Karl Barth, der von einem „heimlichen und offenen Massenmord“ sprach.[15] Danach geht das Recht auf Leben dem Recht auf Lebensgestaltung vor.[16]

Quellen

Wikipedia-Artikel de.wikipedia.org/wiki/Schwangerschaftsabbruch#Christentum

  1. Tertullian: „Aufforderung zur Keuschheit“, Kap. 13.
  2. Tertullian: „Apologeticum“ 9.8.
  3. Hans Saner: Vorgänge Nr. 10, Heft 4, S. 9-17 (1974).
  4. Petrus Chrysologus: Sermo 72.
  5. Aristoteles: Historia animalium 7, 3 und De Gemeratione animalium 2, 3.
  6. Zur Taufe bei Fehl- oder Frühgeburt, Canon 871 Codex des Kanonischen Rechtes 1983, auf der Webseite des Vatikan auf Latein und Deutsch.
  7. Eberhard Schockenhoff: Thomas von Aquin und die Theorie der Sukzessivbeseelung. In: Die Tagespost 9 vom 24. Februar 2001; wieder veröffentlicht auf mykath.de (abgerufen am 5. Januar 2008).
  8. Zur Exkommunikation bei Schwangerschaftsabbruch, Canon 1398 Codex des Kanoni-schen Rechtes 1983, auf der Webseite des Vatikans [3].
  9. Can. 1314 Die Strafe ist meistens eine Spruchstrafe, so dass sie den Schuldigen erst dann trifft, wenn sie verhängt ist; sie ist jedoch, wenn das Strafgesetz oder das Strafgebot dies ausdrücklich festlegt, eine Tatstrafe, so dass sie von selbst durch Begehen der Straftat eintritt.
  10. Can. 1329 § 2: Die Mittäter, die im Gesetz oder im Verwaltungsbefehl nicht genannt werden, ziehen sich die für eine Straftat angedrohte Tatstrafe zu, wenn ohne ihr Handeln die Straftat nicht begangen worden wäre und die Strafe derart ist, dass sie sie selbst treffen kann.
  11. Can. 1322: Wer dauernd ohne Vernunftgebrauch ist, gilt als deliktunfähig, auch wenn er gesund schien, als er Gesetz oder Verwaltungsbefehl verletzte.
  12. Can. 1323: Straffrei bleibt, wer bei Übertretung eines Gesetzes oder eines Verwal-tungsbefehls: 1) das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
  13. Martin Luther: Werkausgabe 6, 247.
  14. Martin Koschorke: „Schwangerschaftsabbruch“. In: Evangelisches Kirchenlexikon 3. Auflage, Göttingen 1996, Bd. 4 Sp. 125.
  15. Karl Barth: Kirchliche Dogmatik III, 4.
  16. W. Neuer: „Abtreibung“. In: Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde. Brockhaus Verlag 1996, Bd. 1 S. 14-16.