23. Juli 2020

Alarm um Abtreibungszahlen: erneute Zunahme!

Aktuell 3% mehr Abtreibungen – Statistik noch unvollständig

Die Kantone Bern und Glarus haben die Abtreibungszahlen für 2019 noch nicht gemeldet. Je dunkler die Einfärbung, desto mehr Abtreibungen pro 1000 Frauen im gebärfähigen Alter.

Man darf es ruhig als seltsames Vorgehen bezeichnen: Da wird eine Jahresstatistik publiziert, obwohl einer der grössten Kantone seine Zahlen noch nicht geliefert hat. Wieso das? Mamma.ch hat beim Bundesamt für Statistik (BFS) nachgefragt. Die Antworten überzeugen nur bedingt. Sowieso bleiben die vielen Abtreibungen ein Gräuel.

Letztes Jahr hat das BFS die Abtreibungszahlen für das Vorjahr erst im September veröffentlicht. Umso weniger verständlich ist es, dass die Zahlen für 2019 jetzt wieder schon im Juni herausgegeben wurden. Dabei sind sie noch gar nicht vollständig! Konkret fehlen die Daten aus den zwei Kantonen Bern und Glarus. Bern aber ist ein grosser Kanton, mit entsprechend vielen Abtreibungen!

Nur kein Aufsehen erregen …

Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen: Es wird dem Bundesamt ganz recht gewesen sein, dass die Berner Kantonsärztin ihren «Job» mit den Abtreibungszahlen im Juni noch nicht erledigt hatte. Denn Bundesbern hat doch seit jeher ein gewisses Interesse daran, in Sachen Abtreibung kein Aufsehen zu erregen. Solange aber die Zahlen aus dem grossen Kanton Bern noch nicht vorliegen, sind statistische Vergleiche für die ganze Schweiz nur mithilfe von Annahmen möglich – was für viele Medien schon zu aufwendig ist.

Mamma.ch hat die Rechnung gemacht: Für das Jahr 2018 wurden schweizweit 10 457 Abtreibungen gemeldet. 1248 waren es im Kanton Bern, 24 im Kanton Glarus, 9185 in der übrigen Schweiz. Jetzt, für das Jahr 2019, wurden für diese übrige Schweiz 9447 Abtreibungen gemeldet. Das sind rund 3% mehr als im Vorjahr. Wenn man die gleiche Zunahme auch für den Kanton Bern annimmt, kommt man auf schweizweit rund 10 750 Abtreibungen für das Jahr 2019. Also fast 300 mehr als im Vorjahr – oder zusätzliche 12 grosse Schulklassen à 25 Kinder, die uns fehlen! Mit diesem Vergleich wird der Gräuel der vielen Abtreibungen schon etwas fassbarer.

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Corona als Alibi

Mamma.ch hat das BFS mit dem Verdacht konfrontiert: Wollte man mit der frühzeitigen Publikation der Zahlen 2019, trotz Fehlen der Zahlen aus dem Kanton Bern, «unnötige» Schlagzeilen vermeiden? Die zuständige «Projektleiterin Reproduktionsstatistik» beim BFS, Dr. Tonia Rihs, wiegelt ab: Die Veröffentlichung im September 2019 für die Zahlen des Jahres 2018 sei nur «ausnahmsweise verzögert» gewesen. Die Veröffentlichung im Juni entspreche wieder dem üblichen Kalender. Der Entscheid, die Daten trotz Fehlen von Bern und Glarus im Juni zu publizieren, sei «aufgrund der aktuellen Lage und der Belastung der Kantonsarztämter» gefallen.

Die Pandemie also als Alibi … Wie überzeugend ist denn das? Corona hin oder her, Tatsache bleibt: Eine Publikation der Zahlen in mehreren Tranchen ist für die meisten Medien unattraktiv, verringert daher das Medienecho insgesamt und folglich auch die Beachtung in der Bevölkerung. Dies zeigte sich nach der Medienmitteilung des BFS vom 25. Juni deutlich: Es gingen praktisch nur die Zeitungen aus der Mediengruppe Tamedia (Tages-Anzeiger etc.) auf die neuen Abtreibungszahlen ein.

Nochmalige Information der Öffentlichkeit

Von der Berner Kantonsärztin Dr. Linda Nartey hat mamma.ch den Bescheid erhalten: «Der Kanton Bern wird seine Daten bis Ende Juli dem BFS abliefern.» Im Kanton Glarus ist die Lage etwas verworrener. Glarus hat für den kantonsärztlichen Dienst eine Leistungsvereinbarung mit Graubünden. Ende Januar 2020 wurde der bisherige Bündner Kantonsarzt Dr. Martin Mani pensioniert. Die Abtreibungszahlen 2019 scheinen bei der Amtsübergabe an seine Nachfolgerin möglicherweise etwas «unter den Tisch gefallen» zu sein …

Dr. Tonia Rihs vom BFS ihrerseits hat gegenüber mamma.ch noch die interessante und wichtige Zusage gemacht: «Sobald wir die fehlenden Daten des Jahres 2019 erhalten, werden diese umgehend nachgeliefert und die Öffentlichkeit entsprechend informiert.» Man kann also wenigstens davon ausgehen, dass es vonseiten des BFS nochmals eine Medienmitteilung gibt, sobald die Berner (und Glarner) Zahlen vorliegen. Mamma.ch wird sonst das Bundesamt daran erinnern!