20. September 2018

So beging das Schweizer Parlament 1998 Verrat an den Ungeborenen

Verfassungsreform: Recht auf Leben nicht ab der Empfängnis

Artikel 10 in der Bundesverfassung könnte heute lauten: «Jeder Mensch hat vom Zeitpunkt der Empfängnis an ein Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten.» Er könnte so lauten …

Artikel 10 in der Bundesverfassung könnte heute lauten: «Jeder Mensch hat vom Zeitpunkt der Empfängnis an ein Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten.» Er könnte so lauten …

_ Kinder vor der Geburt weniger geschützt als Schwerverbrecher_ Vor 20 Jahren wurde der Verein Mamma gegründet. Exakt um dieselbe Zeit debattierten die Räte in Bern über die Reform der Bundesverfassung. Wären sie einem Antrag von Nationalrat Walter Schmied gefolgt, könnte das Recht auf Leben auch der Ungeborenen heute unmissverständlich in der Verfassung verankert sein. Doch die Feigheit obsiegte. Nun sind Mut und Tatkraft von uns allen gefragt, um das Unrecht der «Fristenlösung» wieder aufzuheben!

Die Verfechter des vermeintlichen «Rechts» auf Abtreibung hatten 1993 mit einer parlamentarischen Initiative von Nationalrätin Barbara Haering Binder (SP ZH) einen neuen politischen Anlauf für die Einführung einer «Fristenlösung» in der Schweiz genommen. Und sie witterten Morgenluft: Der Widerstand gegen die Legalisierung der Abtreibung schien in Gesellschaft und Parlament langsam, aber sicher zu schwinden.

Entsprechend darf der Einzelantrag, den Nationalrat Walter Schmied (SVP BE) 1998 im Rahmen der Verhandlungen über die Reform der Bundesverfassung stellte, schon fast als kühn bezeichnet werden. Denn er stand einer Abtreibungslegalisierung diametral entgegen. Es ging um die Formulierung des ersten Teils von Artikel 10 in der Bundesverfassung. «Jeder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist verboten», sollte es dort nach dem Willen der vorbereitenden Kommission heissen. Die alte, geschriebene Bundesverfassung von 1874 hatte das «Recht auf Leben» noch gar nicht ausdrücklich genannt. Aber das Bundesgericht hatte es als «ungeschriebenes» verfassungsmässiges Recht anerkannt. Walter Schmied nun beantragte die wissenschaftlich gestützte Präzisierung: «Jeder Mensch hat vom Zeitpunkt der Empfängnis an ein Recht auf Leben». Wobei hinter seinem Antrag «kein politisches Kalkül» gesteckt habe, wie Schmied heute im Rückblick sagt – lesen Sie das ganze Interview mit dem Alt-Nationalrat im Kasten weiter unten auf dieser Seite!

Empfängnis … oder «Dolly»?

In der Detailberatung des genannten Verfassungsartikels am 18./19. März 1998 verschanzte sich die grosse Mehrheit hinter der Behauptung, es gehe bloss um eine «Nachführung» der Verfassung im Hinblick auf das bisher ungeschriebene Recht, da hätten «Neuerungen» wie die von Schmied gewünschte Präzisierung nichts zu suchen. Zudem müsse man die Frage, wann das menschliche Leben beginnt, im Zivil- und im Strafgesetzbuch klären und nicht in der Bundesverfassung.

Die SP-Fraktion votierte noch deutlich ideologischer. Die damalige Basler Nationalrätin Margrith von Felten etwa verstieg sich zur Aussage: «Seit der ‹Dolly›-Geschichte wissen wir heute mit Sicherheit, dass es für das Basteln von menschlichem Leben keineswegs der Verschmelzung von Ei und Samenzelle bedarf (…). Die Geschichte mit der Empfängnis stimmt heute eh nicht mehr.»

«Alle Möglichkeiten offen»

Tatsächlich hatten die Befürworter einer «Fristenlösung» im Parlament in den vorangegangenen Monaten und Jahren ihre Ratskollegen offenbar schon derart bearbeitet, dass eine Mehrheit nun bereit war zu kuschen, das verfassungsmässige Recht auf Leben nicht ab der Empfängnis gelten zu lassen – und damit so etwas wie «Verrat» am Recht auf Leben der ungeborenen Kinder zu begehen! Mitglieder der SP-Fraktion forderten zudem, es müsse bezüglich des Wortlauts «Jeder Mensch hat das Recht auf Leben» im Amtlichen Bulletin «festgehalten werden, dass dieser Artikel nicht eine Fristenlösung verunmöglicht».

Zum Abschluss der Beratung sprach Bundesrat Arnold Koller als der damals zuständige Justizminister. Auch er empfahl den Antrag von Walter Schmied zur Ablehnung. Die Formulierung «jeder Mensch» lasse «alle Möglichkeiten offen». Freilich musste auch Koller eigentlich wissen, dass dem Schutz der Ungeborenen nichts so zuträglich wäre wie, ihn in der Bundesverfassung festzuschreiben. Zudem ist es ein eklatanter Widerspruch, wenn einerseits die Todesstrafe absolut verboten wird – auch für Schwerverbrecher – und andererseits beim Kind vor der Geburt «alle Möglichkeiten offen» gelassen werden.

Den Schutz wiederherstellen!

In einer sogenannten «Eventualabstimmung» erhielt der Antrag Schmied im Nationalrat 50 Stimmen. Immerhin, könnte man sagen! Doch zum Weiterkommen im Abstimmungsverfahren der Räte reichte das nicht.

Wie es mit dem rechtlichen Schutz der Ungeborenen in der Schweiz in den Folgejahren weiterging, wird vielen Lesern hinlänglich bekannt sein. Seit dem 1. Oktober 2002 ist die «Fristenlösung» in Kraft … Gleichzeitig begann auch der langwierige Prozess der Wiederherstellung des Schutzes! Dafür mit voller Hingabe zu kämpfen, ist oberstes Ziel des Vereins Mamma.

Alt-Nationalrat Walter Schmied im Interview: «Ich fühlte mich als Anwalt des Menschen im Mutterschoss»

Herr Schmied, was hatte Sie 1998 dazu bewogen, im Parlament bei der Beratung der neuen Bundesverfassung einen Antrag mit dem Wortlaut «Jeder Mensch hat vom Zeitpunkt der Empfängnis an ein Recht auf Leben» zu stellen? War es vielleicht gleichsam ein Versuch, der drohenden «Fristenlösung» (welche das Volk dann 2002 angenommen hat) noch einen Riegel auf Stufe Bundesverfassung vorzuschieben?

Walter Schmied: Nein. Es steckte kein politisches Kalkül dahinter. Jede gute Gesellschaft wird daran gemessen, dass sie den Schwächsten und Bedürftigsten zu Hilfe kommt. Ich fühlte mich in der Position eines Anwaltes, der Partei ergreift für den Menschen im Mutterschoss – denn Gott liebt ihn schon bevor er einen Vornamen bekommt. Als die Verfassung überarbeitet wurde, wollte ich den Schutz, den unser Grundgesetz gewährt, auf jeden Menschen von der Empfängnis an ausdehnen.

Kritiker Ihres Antrags im Nationalrat sagten, die Frage des Beginns des menschlichen Lebens müsse auf Gesetzesstufe geklärt werden und nicht in der Bundesverfassung. Wie beurteilen Sie diese Argumentation heute?

Das ist Augenwischerei. Der Gesetzgeber legte Wert darauf, dass die Schweizer Verfassung im Namen Gottes aufgesetzt wird. Das steht in der Präambel unseres Grundgesetzes. Unsere Nation ist daher in erster Linie Gott verpflichtet. Das Kind im Mutterleib hat von der Empfängnis an eine eigene Seele, mit der es von seinem Schöpfer ausgestattet worden ist. Es spielt keine Rolle, wie alt es ist, da kann eine «Fristenlösung» noch so willkürlich eine Anzahl Wochen festlegen. Die Stufe der Verfassung ist die passende, wenn es um den Schutz des Rechts auf Leben geht. Wer sagt, dieses Recht sei auf Gesetzesstufe zu regeln, der will es ganz einfach nicht.

Ist es angemessen zu sagen, dass der Nationalrat damals so etwas wie «Verrat» am Recht auf Leben der ungeborenen Kinder begangen hat, als er Ihren Antrag ablehnte? Oder war es einfach eine Etappe auf dem vom Zeitgeist vorgezeichneten Weg zur Annahme der «Fristenlösung»?

Die Tatsache, dass unsere Gesellschaft das Recht des Menschen auf Leben von der Empfängnis an nicht anerkennt, ist ein Akt der Schwäche und der Angst – als ob sie die Konkurrenz eines Ungeborenen zu fürchten hätte. Die Diskussion darüber stört. Es hat also etwas Wahres in der ganzen Dimension Ihrer Frage. Die Gesellschaft flieht vor der Diskussion. Denn wie Professor Erich Blechschmidt so gut gesagt hat: «Der Mensch entwickelt sich nicht zum Menschen, sondern als Mensch. Er ist Mensch von Anfang an.»

Auch 16 Jahre nach Inkraftsetzung der «Fristenlösung» muss es unseres Erachtens das erklärte Ziel bleiben, dieses Unrecht wieder aufzuheben und den Schutz des Rechts auf Leben der Ungeborenen wiederherzustellen. Welche Schritte sind nötig, um das Ziel erreichen zu können?

Ich glaube, nur die Liebe bringt uns weiter. Ich bleibe dabei: Das Leben ist ein Geschenk von Gott, dem Schöpfer, und hat daher in seinen Augen einen Wert, den wir uns gar nicht vorstellen können. Das Leben sollte auch in unseren Augen wieder mehr Wert bekommen. Betend sollten wir unsere Seelen und Herzen erneuern und dort präsent sein, wo schwangere Frauen allein und in Not sind. Wir sollten auch besser erfassen, wie schwierig die psychische Situation ist, in der sich Frauen befinden, die ihr Kind abgetrieben haben. Jede von ihnen hat das Recht zu entdecken, dass Gott ein Gott der Liebe, der Barmherzigkeit und der Vergebung ist.

Walter Schmied (65), Agro-Ingenieur HTL, ist heute pensioniert, war als Landwirtschaftsberater sowie später in einer Firma zur Förderung erneuerbarer Energien tätig. Im Nationalrat von 1991 bis 2007 (SVP BE), parallel dazu Mitglied der Schweizer Delegation beim Europarat in Strassburg. Schmied ist ledig und wohnt in Moutier. Das Interview wurde schriftlich geführt.